Das CARAC hat uns ausgespien.
Das war vor drei Tagen. Wir haben mit den mitgebrachten Tauschmünzen Pferde gekauft, und seitdem sind wir unterwegs. Jetzt nähern wir uns unserem Ziel.
Schon von weitem macht die Burg einen trutzigen Eindruck. Ich habe nie viele Burgen gesehen, obgleich ich weit herumgekommen bin. Orientalische Paläste sind mir wesentlich geläufiger, seit meiner Sklaverei, aus der Mythor mich befreite. Aber trotzdem – oder vielleicht gerade deshalb – beeindruckt diese Burg mich außerordentlich.
»Bringt etwas mit, das ihr in dieser Burg finden werdet«, hat der Sammler gesagt. »Vor langer Zeit haben die Götter auch hier ein Relikt hinterlassen, und ihr kennt unsere Aufgabe: es heimzubringen zu den Göttern.«
»Aber was ist es diesmal für ein Relikt?« fragte ich.
»Ihr werdet es erkennen, wenn ihr es seht.«
Nun, mit dieser Antwort läßt sich nicht viel anfangen. Ofarr sagt, daß das CARAC schon seit Hunderten oder Tausenden von Sommern seine Bahn zwischen den Welten zieht, und der Sammler ist nicht der erste Sammler. Seine Vorgänger sind längst zu Staub zerfallen. Die Schatzkammern des CARAC platzen förmlich aus den Nähten, die Schlafkammern sind überfüllt. Wenn jemand neu an Bord kommt, gibt es meist erhebliche Platzprobleme. In aller Regel geht es nur, wenn ein anderer das CARAC für immer verläßt. Das soll so gewesen sein, als Mythor das CARAC betrat – da starb der Vorgänger des jetzigen Sammlers. Und das war so, als Mythor mich vom Sklaven-Bazar des Groß-Sheiks Haddedihn al Fayaz ibn Makub befreite.
Wir haben nun genau zehn Tage Zeit, um das Relikt zu finden und zu erbeuten. Wenn wir nach diesen zehn Tagen nicht zurück sind, fliegt das CARAC ohne uns weiter zur nächsten Welt.
Zurück zur Burg: es ist zweifellos eine gewaltige Festungsanlage, die auf einem nur schwer zu ersteigenden hohen Felsen aufragt. Kein Wunder, daß man sie die Unbesiegbare nennt. Die Felsen sind kaum passierbar, der einzige Weg nach oben ist von der Festung aus leicht beherrschbar. Und Pfeile oder katapultierte Steinbrocken fliegen allemal von oben nach unten weitaus treffsicherer als von unten nach oben.
Unten: die Stadt.
Anstelle einer steinernen Wehrmauer zieht sich ein Palisadenzaun um die hölzernen Häuser. Hier und da gibt es ein paar Wachtürme, auf denen Posten stehen und Ausschau halten, und das Stadttor ist seltsamerweise weit geöffnet.
Niemand ruft uns an, als wir hindurchreiten, aber ich sehe die begehrlichen Blicke, die die Wachen mir zuwerfen, und genieße sie. Immerhin kann ich stolz auf mein Aussehen sein. Ich erlaube mir ein provozierendes Lächeln, als ich Mythors erwachende Eifersucht bemerke.
Die Stadt ist erstaunlich sauber. Es liegen keine Abfälle in den Straßen, und es stinkt nicht nach Exkrementen und saurem Wein wie anderswo. Die Holzhäuser sind klein, sauber und bunt angemalt. Drachen, Zauberer, Feen und auch erotische Motive machen den Großteil der Wandbemalungen aus.
Vor einer Schänke halten wir an und steigen ab. Die Schänke trägt den verheißungsvollen Namen »Im Faß«. Wir binden die Pferde an dem großen Querbalken an und betreten das Lokal.
Es ist zwar noch früh am Tag, aber die Schänke ist bereits gut besucht. Etwa drei Dutzend Männer sitzen an den klobigen Tischen und lassen sich von spärlich bekleideten Schankmägden die Weinbecher füllen. An der gut zehn Mannslängen messenden Theke stehen dahinter der schwarzhaarige Wirt und davor ein weißhaariges, gediegen gekleidetes Unikum mit unzähligen Lachfältchen im Gesicht und einem seltsamen Gestell vor den Augen, in das runde Gläser eingelassen sind. Der Alte erinnert mich an einen Uhu.
»Hallo«, ruft er aus, als er uns sieht. »Fremde in C'haldaro … seid herzlich willkommen und fühlt Euch von mir zu einem Becher Wein oder einem Krug schäumenden Bieres eingeladen. Ich bin Baron Rudolfo. Darf ich Eure ehrenwerten Namen erfahren?«
Mythor sieht ihn verblüfft an. Eine solch überschäumende Begrüßung hat er wohl nicht erwartet. Ich auch nicht. Der Alte mustert mich mit Kennerblick. Unwillkürlich mache ich ein Hohlkreuz, um meine Brüste noch besser zur Geltung kommen zu lassen.
»Ich bin Mythor, Ritter von Vangor«, sagt Mythor. »Dies hier ist Tanice von Arabien.«
Natürlich stamme ich nicht aus Arabien. Ich bin in einem Land geboren, das man Britannia oder Insel-Keltia nennt. Aber ich wurde schon als kleines Kind verschleppt und in das Morgenland verkauft, wo ich als Sklavin aufwuchs. Es hat mir dort gefallen. Es ist sehr warm in den Ländern der aufgehenden Sonne, es regnet wenig und es gibt auch keine kalten Nebel, und meine einzige Aufgabe war es, den jungen Edelmännern zu gefallen. Und da sie mir auch gefielen, machte mir mein Sklavinnendasein sehr viel Spaß. Bis der Groß-Sheik Haddedihn al Fayaz ibn Makub unbedingt meinte, seine vierzehn Söhne einer Unbotmäßigkeit wegen damit bestrafen zu müssen, daß er mich verkaufte. Mythor kam und befreite mich, und seitdem hat er mich am Hals. Er ist ein recht passabler Liebhaber, aber er könnte ruhig öfter mit mir schlafen, als er es tut, doch ich bin sicher, daß er es gar nicht gern sieht, wenn ich mir mein Recht auf Vergnügungen anderswo hole. Verhindern kann er es allerdings nicht. Er hat mich eben befreit, statt mich zu kaufen. Sein Pech.
»Vangor und Arabien … mich dünket, diese Gelande klingen gar fremdlich und müssen weitlichst fort von hierens liegen«, sagt Baron Rudolfo in einer eigentümlich wirkenden Sprechweise, die aber so, wie er sie verwendet, seine Natur zu sein scheint. »Bewegt sich dortsülbigst alles junghübsche Gedam so freizügig? Es könnte mich reizen, jenem Geland eine Visite abzustatten …«
»Ihr hofft vergebens«, sagt Mythor mit einem ärgerlichen Blick auf mich. »Andere sind züchtig bekleidet, aber Tanice weigert sich einfach, etwas anzuziehen. In dieser Hinsicht ist sie wohl etwas verrückt im Kopf. Dabei habe ich ihr einen perlenbestickten Lendenschurz geschenkt, damit sie wenigstens etwas anziehen soll. Aber nein, die Dame läuft den ganzen Tag splitterfasernackt durch die Gegend.«
Da muß ich ihm energisch widersprechen. »Erstens kratzt dein perlenbestickter Lendenschurz, zweitens bin ich nicht splitterfasernackt, wie du es nennst, und drittens regst du dich ja auch nicht darüber auf, daß Laconda und der Kupferne ebenfalls ständig nackt gehen. Außerdem ist es viel praktischer so!«
Er holt tief Luft und seufzt. Jetzt kommen wieder seine Argumente, die ich schon auswendig kenne: »Laconda hat Flügel, wie soll sie da Kleidung darüber ziehen? Und der Kupferne ist geschlechtslos …«
»… sehr zu seinem Nachteil, wo er doch einen so prächtigen Körper hat …«
»Der Lendenschurz kratzt also«, sagt er. »Dein Waffengurt aber nicht?«
»Mein Waffengurt ist mit Seide umnäht«, erkläre ich ihm das Offensichtliche gelangweilt.
Ich bin nicht wirklich völlig nackt. Ich trage den eben erwähnten Gurt, an dem in der seidenumhüllten Lederscheide mein Schwert Seelentrinkerin steckt, ich trage die seidenumhüllte und an den linken Oberschenkel geschnallte Lederscheide mit meinem Dolch Herzöffnerin und ich trage jede Menge Schmuck. Stirnband, Armreifen, Halsketten, Ringe, Fußreifen und -kettchen, Pailettenbänder … kurz, alles was man in der einen Welt stibitzt und in der nächsten dann ungehindert tragen kann. Also bin ich doch nicht nackt! Aber das wird Mythor nie einsehen.
Dabei bin ich es gar nicht gewöhnt, Kleidung zu tragen. Ich ersticke in dem dicken Zeug und kann Mythor nicht verstehen, wie der sich in Stiefeln, Beinkleidern, eisenbeschlagenem Leibrock, Mantel und in allem möglichen Zeugs darunter überhaupt bewegen kann. Die Sachen sind doch schwer! In all meinen Tagen in Arabien habe ich höchstens einige Male seidene Schleier getragen. Aber die gibt es im CARAC nicht, und sie lassen sich auch nur schwer stehlen. Was soll's? Es ist einfach viel praktischer, nackt zu gehen. Wenn man lieben will, muß man nicht erst unnötig Zeit damit verlieren, sich zu entkleiden, und warm genug ist es schließlich auch. Zudem müßte ich lügen, wenn ich behaupten wollte, daß mir die begehrlichen Männerblicke nicht gefielen.
Baron Rudolfo hat unserem kurzen Disput schmunzelnd zugehört. Wir genießen den Wein, den der Wirt uns eingeschenkt hat. Mir fällt auf, daß der Baron weder dafür zahlt, noch daß der Wirt ein Kerbholz anschnitzt. Seltsam.
Mythor und der Baron kommen übers Woher und Wohin ins Gespräch, und Mythor deutet gerade an, daß wir in die Felsenfestung wollen.
»Oh, da wollen viele hinein. Vor allem mißgünstige Eroberer«, kichert der Alte. »Aber gehet nur hinauf, furtwannen das Steilgepfad Euch nicht zu schwerens ist. Man wird Euch das Zugetritt nicht verwehren.«
Dieses Sprachgeschnörk – nein, verflixt noch mal! Jetzt fange ich auch schon damit an! Diese verschnörkelte Sprache fängt an, mir auf die Nerven zu gehen!
Eines der Schankmädchen, das gerade zur Tür hinaus geschaut hat, wirbelt heran. »Eroberer kommen«, schreit die Hübsche begeistert. »Eine ganze Legion! Das gibt wieder ein Fest!«
»So geruhe ich mich zu verabschieden«, sagt der Weißhaarige. »Man muß Vorbereitungen treffen. Bewirte Er die Eroberer fürtrefflichst, Ragnar. Gehabet Euch wohlens, Ritter von Vangor und Dame von Arabien!«
Er eilt zu einer Hintertür und verschwindet. Ragnar, der Wirt, reibt sich die Hände. »Endlich wieder Eroberer! Das gibt Umsatz!« freut er sich. »Holt die Fässer mit dem Roten, Mädels! Sputet euch, es gibt jetzt für jede mehr als genug zu tun!«
Was aber nicht heißt, daß ich seine Freude verstehe. Eroberer bedeutet doch Kampf und Tod, Brandschatzung und Schändung der Frauen und Mädchen. Wie kann er sich darüber freuen? Fast möchte ich ihn dafür mit Herzöffnerin näher bekanntmachen! Was Frau und Mann an Vergnüglichem miteinander anstellen können, ist unbeschreiblich schön und fantastisch, wenn die gegenseitige ekastatische Hingabe aus freiem Willen stattfindet. Nicht aber, wenn Gewalt ohne beiderseitiges Einverständnis im Spiel ist. Und dieser Wirt und irrwitzigerweise auch die Schankmädchen freuen sich über die Ankunft von Eroberern? Sie sehnen sich Blut, Kampf und Vergewaltigung herbei?
Die spinnen, diese Helleber, wie sich die Bewohner dieses Landstrichs nennen!
Mythors Hand nähert sich bedächtig dem Griff seines Schwertes. Aufmerksam späht er zur Tür.
Aber seltsamerweise regt sich auch keiner der anderen Gäste sonderlich über die Alarmmeldung auf.
Irgend etwas stimmt hier nicht.
Jetzt kommen sie hereingestürmt. Zwei, drei Dutzend in Leder gepanzerte Männer, mit Schwertern und Äxten bewaffnet, poltern in die Schänke. Sie sind verwirrt, daß ihnen nirgends Widerstand entgegengesetzt wird. Offenbar haben die Wachen auf dem Palisadenzaun sie kampflos hereingelassen. Ich habe auch keinen Kampflärm in der Stadt gehört, einfach nichts! Nur das Randalieren der Eroberer …
Sie verteilen sich blitzschnell in der Schänke, sichern nach allen Seiten und sehen, daß es eigentlich nichts zu sichern gibt. Mythor schiebt sich schützend vor mich. Typisch Mann! Keiner hier denkt an Kampf, bloß er muß sein Imponiergehabe zeigen. »Bleib friedlich«, verlange ich. »Und nimm die Hand vom Schwert.«
»Herzlich willkommen im ›Faß‹ von C'haldaro«, schreit Ragnar, der Wirt. »Seid eingeladen, mit uns zu trinken und sagt's auch Euren Kameraden! Heute kosten der Wein und die Mädchen nichts!«
»Das will ich auch meinen«, donnert einer der Krieger. »Her mit dem Besten, oder es donnert!«
»Aber wirklich, ihr Herren«, säuselt Ragnar. »Ihr braucht nichts zu erkämpfen und nichts zu bezahlen. Und ihr werdet sofort bedient.«
Einer langt zu, als ein Schankmädchen in seine Nähe kommt, und ihr ohnehin kurzes – für Mythors Moralbegriffe sicher zu kurzes – Gewändchen bleibt in Fetzen in seiner Hand. Das Mädchen wirbelt lachend herum und küßt den Krieger, der völlig verdutzt von dieser Reaktion ist.
Was nützen einem Krieger Kraft und Schwert, wenn es nichts gibt, wogegen er Kraft und Schwert einsetzen kann?
Ohne Widerstand kein Kampf …
Die Mädchen verteilen willig und vergnügt roten Wein und ihre spärliche Kleidung. Ein paar Krieger haben auch mich entdeckt und stürmen auf mich zu. Mythor will ihnen schon wieder in den Weg treten. Aber diesmal ist der Wirt schneller. Mutig kommt er hinter der Theke hervor und stellt sich den Kriegern entgegen. »Ihr wollt euch doch nicht mit unseren Gästen anlegen? Tut euch am Wein gütlich und laßt diese.«
Es liegt wahrscheinlich daran, daß alles so anders ist, als die Eroberer es sich wohl vorgestellt haben, daß sie uns murrend in Ruhe lassen. Als sie sich zurückziehen und gleich darauf von einem Mädchen in Anspruch genmmen werden, habe ich einen von ihnen unbemerkt um seine Geldkatze erleichtert. Das Leder bleibt nur wenige Herzschläge in meinem Besitz und ist dann wieder fort; er wird annehmen müssen, den Beutel verloren zu haben. Der Inhalt desselben befindet sich aber in einer kleinen Geheimtasche meines Gürtels.
Kopfschüttelnd registriert Mythor das alles. So eine Eroberung hat er wohl nie zuvor gesehen. Ich auch nicht. Aber ich nehme es so hin, wie es ist, und mache Mythor darauf aufmerksam, daß es nicht gut sei, wenn nur die Eroberer Wein trinken. Auch ich habe Durst.
Mythor bestellt zwei neue Becher.
Eine Schankmagd, die nur damit beschäftigt ist, pausenlos Becher mit dem roten Saft zu füllen (und die wahrscheinlich deshalb als einzige noch ihr kurzes Hemdlein trägt), füllt auch Mythors und meinen Becher. Und Ragnar streckt die Hand aus.
»Zwei Messingpfennige«, verlangt er.
»He!« braust Mythor auf. »Sagtest du nicht, heute sei alles umsonst?«
»Für Eroberer«, verweist der Wirt ihn. »Ihr aber seid Gäste. Darf ich also um die zwei Messingpfennige bitten?«
Mir fällt ein Volk ein, das einst meine Welt beherrschte und das auch mit Arabien ständig in Fehde lag. Römer nannten sie sich, und ich glaube, sie hatten für Gäste und Feinde und gemeinsames Wort: hostes. Wenn ich mich nicht irre …
Ich fasse in meine Gürteltasche und suche aus den stibitzten Münzen zwei Messingpfennige heraus, bevor Mythor Krach schlagen kann. »Aber Baron Rudolfo hat doch vorhin auch nicht bezahlt, als er uns Wein spendierte«, sagt Mythor grimmig.
»Rudolfo ist der Weinbaron von Helleb«, grinst Ragnar. »Ihm gehört der Wein …«
Aha, so ist das also.
Wir greifen zu den Bechern. Mir fällt ein seltsamer Duft auf. Mythor scheint's nicht zu bemerken. Aber gut, von orientalischen Duftwässerchen verwöhnt, habe ich eben eine feinere Nase als er.
Was ich hier aber erschnuppere, ist kein orientalisches Duftwässerchen, sondern etwas anderes. »Halt«, raune ich Mythor schnell zu. »Nicht davon trinken!«
Er hat den Becher schon fast an den Lippen und sieht mich verwundert an. »Warum nicht? Erst verlangst du Wein, und nun sollen wir nicht davon trinken?«
»Lieber würde ich den Nektar deiner Liebe trinken«, sage ich etwas anzüglich, weil es an einem der Tische in dieser Hinsicht interessant wird; eine der Schankmägde hat die Rüstung eines Eroberers geöffnet und bedient ihn auf äußerst verführerische Weise. »In dem Wein ist etwas.«
»Gift?« zischt er zurück.
»Nicht so laut«, keucht Ragnar auf. »Nein, kein Gift … etwas anderes. Eine Medizin. Verzeiht, daß Ihr auch von dem Wein für die Eroberer bekamt. Es war keine Absicht. Ihr werdet sofort den Wein bekommen, den ich und der Baron trinken, und er kostet keinen Messingpfennig mehr.«
Hurtig eilt er, sein Versprechen auszuführen. Ich beobachte, was an dem bewußten Tisch geschieht; das Mädchen bringt bereits des Kriegers Lebensfreude zum Überschäumen. Bei Beltane, wenn Mythor doch nicht so dicke Kleidung tragen würde. Ich möchte so gern seine Haut an meiner spüren, die Glut seiner Leidenschaft in mir und …
Aber hier, in der Gaststube, wird er sich nicht dazu überreden lassen.
Unser Wein kommt. Diesmal duftet er normal. »Hast du ein kleines Kämmerchen für uns?« fragte ich den Wirt.
Mythor atmet tief durch. Er weiß sehr wohl, was ich will! »Doch nicht jetzt«, zischt er. »Tanice, da ist eine ganze Armee fremder Eroberer in C'haldaro eingefallen, und du willst…«
»Fragt sich, wer wen erobert«, sage ich. »Wenn die Bewohner von C'haldaro sich nicht fürchten und selbst der Wirt trotz kostenlosen Weines ein Geschäft wittert, dann brauchen auch wir die Eroberer nicht zu fürchten. Und außerdem erregt es dich doch auch, was hier geschieht.«
Er nickt und seufzt, und Ragnar weist uns ein Kämmerlein und gegen ein paar weitere Messingpfennige einen Krug guten Weines zu.
Schon Augenblicke später bin ich wirklich nackt, und angeregt durch das aus der Schankstube nach oben dringende Stöhnen und die kleinen, vergnügten Schreie mache ich mich über den zuerst recht lustlosen Mythor her. Aber ich kenne ihn; ich bringe ihn sehr schnell dazu, daß er seine Lust in mich verströmt.
Irgendwann in der beginnenden Nacht höre ich eigenartige Geräusche von draußen. Auf Zehenspitzen, um Mythor nicht zu wecken, husche ich zum Fenster. Direkt darunter entdecke ich im Fackelschein eine große Latrine, bevölkert von den trunkenen und ermatteten Kriegern. Sonderlich eroberungslustig sehen sie alle nicht mehr aus, aber sie haben eine Mordswut sowie ein gut wirkendes Abführmittel im Bauch. Das also hat der Wirt mit der »Medizin« gemeint!
Auch eine Art, kriegslüsterne Armeen kampflos zu besiegen!
Aus der Ferne kommende Geräusche verraten mir, daß es in ganz C'haldaro so oder ähnlich aussehen muß wie hier. Man scheint auf Eroberer ausgezeichnet vorbereitet zu sein und genau zu wissen, wie man sie zunächst milde und dann friedlich stimmt.
Es klopft dezent an die Tür.
Ich werfe die Decke über Mythor, kleide mich schnell in Dolch und Schwert – schließlich will ich dem Besuch ja nicht nackt entgegentreten – und öffne. Ragnar steht auf dem Gang.
»Wenn Ihr in die Festung wollt«, sagt er, »solltet Ihr vielleicht jetzt aufbrechen. Die Eroberer werden erfahrungsgemäß im Morgengrauen hinaufstürmen, und wenn Ihr dann mit dabei seid, wird man Euch für welche von ihnen halten. Ihr seht ja, um ein Haar hättet Ihr denselben Wein getrunken wie sie. Außerdem wird morgen früh niemand hier sein, der Euch ein Frühstück zubereitet. Denn dann werden wir alle oben vor der Festung gebraucht.«
»Oh!« entfährt es mir bestürzt. »Ihr müßt kämpfen? Hat die Festung keine eigenen Soldaten, oder nicht genug davon?«
»Soldaten schon«, erwidert er schmunzelnd. »Aber nicht genug Wirte. Nun, wollt Ihr den Herrn Ritter von Vangor wecken und mit ihm zur Festung reiten?«
»Es ist schon dunkel«, gebe ich zu bedenken. »Man wird uns nicht einlassen.«
»Man wird«, versichert Ragnar. »Zur Not sagt, daß der Weinbaron Euch einlud. Ich muß jetzt wieder nach unten. Es gilt, Vorbereitungen zu treffen; auch die Latrinen müssen alsbald geleert werden.«
Er zieht sich zurück.
Mythor ist aufgewacht. »Was gibt es da an der Tür zu tuscheln?« will er argwöhnisch wissen.
Ich erzähle es ihm. Er staunt nur. Aber er will noch nicht sofort aufbrechen. Er hat vorhin Gefallen an der Art gefunden, wie ich ihn verführte, und ist nicht abgeneigt, sich für eine Wiederholung zu erwärmen. Sei's drum, ziehe ich Schwert und Dolch also wieder aus.
Ob Ilfa und Fronja und Kalathee und wie die Mädchen alle hießen, von denen er mir manchmal vorschwärmt, dasselbe Verlangen in ihm wecken konnten? In meinen Armen und meinem Schoß wird dieser spröde und in Liebesdingen recht zurückhaltende Mythor jedenfalls zum Vulkan.
Diesmal hält er mir nicht mal vor, daß ich mir vielleicht doch besser etwas Kleidung anziehen solle, damit man mich in der Festung nicht meiner »schamlosen Nacktheit« wegen in den Kerker werfe, wie er zu Beginn unserer Reise mehrfach befürchtete.
Aber von seiner eigenen Kleidung läßt er einfach nicht ab. Dabei braucht er seinen wohlgestalteten Körper beileibe nicht vor Frauenaugen zu verstecken! Erst recht nicht vor meinen. Allein beim Gedanken an seine kraftvolle Gestalt explodiere ich fast vor Lust. Aber dieser Mann gönnt mir und meinen Geschlechtsgenossinnen einfach nichts, während umgekehrt mein Anblick ihm und anderen Männern garantiert ständig sündige Träume verschafft.
Ein paar Krieger liegen schlapp und vor Bauchgrimmen stöhnend in der Gaststube herum, als wir aufbrechen. Andere stöhnen draußen an der Latrine. Vom Wirt und den lustvollen Mädchen ist nichts zu sehen.
Unsere Pferde sind noch draußen. Jemand hat ihnen Hafersäcke umgehängt, wie wir es erbeten hatten, bevor wir uns nach oben zurückzogen. Wir hängen die Beutel ab und sitzen auf; Mythor in den Sattel und ich auf den nur von einem einige Male übereinandergefalteten Seidentuch bedeckten Pferderücken. Ich reite nie mit Sattel. Erstens ist es sehr angenehm, durch den dünnen Stoff den warmen Pferdeleib zwischen den Schenkeln zu spüren, und zweitens habe ich nur ungern knarrendes, viel zu hartes Sattelleder unterm Hintern. Drittens mag ich die Reibung der Seide an meiner Haut und – lassen wir das.
Wir reiten los.
Obwohl es Nacht ist, blüht in C'haldaro das Leben. Zum einen sind da die verzweifelten und sehr, sehr kranken Eroberer, die nur noch die Latrinen erobern wollen, zum anderen die Einwohner, die mit allerlei geheimnisvollen Transportgeschäften befaßt sind.
Selbst den Weinbaron sehe ich. Der untersetzte weißhaarige Mann mit dem Aussehen eines flügellosen Uhus wieselt wie eine Quecksilberkugel in den nächtlichen Straßen einher, gibt Anweisungen und winkt uns vergnügt zu.
»Willkommen in der Burg«, sagt der Mann mit dem bartumwucherten Gesicht, der uns in der Felsenfestung entgegentritt. Er hat den Wachen einen Wink gegeben, daß man uns einläßt. Sklaven kümmern sich um unsere Pferde. »Baron Rudolfo teilte uns bereits mit, daß Ihr das Steilgepfad nicht scheuen wolltet, um unser Geburg auf dem Felsgespitz zu bewundern.«
Wir stellen uns gegenseitig vor. Der Bärtige, in dessen Nähe sich ein wilder grauer Wolf herumtreibt, der ihm aufs Wort zu gehorchen scheint, nennt sich Gregor und ist auch ein Baron. Überhaupt lernen wir in der nächsten Mondspanne eine ganze Menge Würdenträger kennen; mich dünkt, der gesamte Hochadel des Landes habe sich in dieser Nacht hier versammelt. Da ist Wilhelm von Helleb, der Fürst und Herrscher, da ist sein Statthalter, Fürst Erlik, da ist noch ein weiterer Baron, der Sir Jay genannt wird. Ein Zauberer, ein Haus- und Hofvampir, ein Schriftkundiger und dergleichen mehr treiben sich ständig überall herum, geben den Sklaven Anweisungen, die sich teilweise widersprechen, und nur der Herrscher selbst scheint das heillose Durcheinander völlig im Griff zu haben. Nach einer Weile wird es auf dem Felsenpfad laut und hell; im Fackelschein nähert sich eine gar seltsame Prozession von Dorfbewohnern, deren Lasttiere große Behälter und Weinfässer nach oben schleppen. Angeführt wird diese eigenartige Karawane vom Weinbaron und dem Wirt Ragnar.
Man hat uns in der Festung ein Quartier zugewiesen, das recht geräumig und luxuriös eingerichtet ist. Aber Mythor und ich schauen uns lieber draußen die Vorbereitungen an, die vor dem Burgtor getroffen werden. Der große graue Wolf Baron Gregors nähert sich uns, beschnuppert erst mich, läßt sich das Nackenfell kraulen und wendet sich dann Mythor zu.
»Wie heißt denn das liebe Tier?« will Mythor wissen.
»Fass«, sagt Baron Gregor.
Prompt schnappt der Wolf nach Mythor, welcher erschrocken zurückspringt.
»Ruhig, dusseliger Köter!« schimpft der Baron. »Laß ab! – Entschuldigt, Ritter Mythor, es war nicht der Befehl zum Angriff, sondern der dumme Hund heißt tatsächlich Fass. – Laß ab, Fass! Nein, verdammt noch mal, du sollst nicht fassen! Aus! Sitz, Fass! Nein, sitz!"
Hoffnungslos frustriert gibt der Wolf schließlich auf. Mythor hat schon eher aufgegeben, sitzt auf einem großen Stein und schüttelt nur noch langsam dem Kopf.
Draußen vor Tor und Burgmauer werden Nägel in Holz getrieben. Eine große lange Theke wird gezimmert, dieweil die sorgältig verschlossenen großen Behälter oben auf der Burgmauer deponiert werden.
»Darf man erfahren, was das alles soll?« frage ich Ragnar, als er für eine Weile Pause macht.
»Ganz einfach«, erklärt er. »Es beruht auf einer genialen Strategie von Baron Gregor. Da unser götterbegnadetes Fürstentum derart reich ist, daß sich ein Überfall auf eine jede unserer Burgen zehnfach lohnt, hatten wir eine Idee. Der Weg zu dieser Festung hinauf ist, wie Ihr gesehen habt, verflucht steil. Die Krieger sind erschöpft, wenn sie hier ankommen – und so verkaufen wir ihnen einen stärkenden Trunk. Denn es ist einfach langweilig, erschöpften Eroberern, die sich nicht wehren können, den Schädel zu spalten. Sobald sie nun gestärkt, aber trunkenen Sinnes und somit lustig sind, schicken wir sie wieder fort. Das ist alles.«
»Aber ich kann mir nicht vorstellen, daß sie nach der Bergbesteigung so erschöpft sind, daß sie nicht mehr kämpfen können«, wirft Mythor ein. »Sicher, der Weg ist steil, aber …«
»Ihr vergeßt zwei Dinge«, schmunzelt der Wirt. »Zum einen sind da unsere Mädchen. Mit flinken Zungen und nimmermüdem Schoß sorgen sie dafür, daß die Eroberer alsbald ermüden und ermatten; Hengste und Stiere sind sie allemal nicht. Und das wichtigste ist der Wein mit der abführenden Medizin, dem sie alle eifrig zusprechen. Danach sind sie zu erschöpft. Wenn sie nun im Morgengrauen erscheinen, werden sie froh sein, wenn man ihnen hier einen kräftigenden Trunk reicht. Das wird ein Mordsgeschäft.«
»Aber doch nicht, wenn Ihr den Eroberern den Wein schenkt!« wundere ich mich.
»Ihr werdet sehen, daß wir nichts zu verschenken haben«, prophezeit Ragnar. »Denn vom Verschenken wird ein Fürstentum wie unseres niemals reich …«
Er macht sich wieder an seine Arbeit, die darin besteht, Anweisungen zu erteilen. Mythor und ich beschließen, den Rest der Nacht zum Schlafen auszunutzen.
– – – Nun gut, auch zum Schlafen.
Im Morgengrauen kommen sie.
Wir haben einen guten Aussichtsplatz auf dem Wehrgang der Mauer über dem großen Tor gefunden. Fürst Wilhelm hat sich zu uns gesellt und beobachtet und kommentiert für uns das gar seltsame Treiben.
Die Eroberer sind entkräftet und erbittert. Vielleicht hätten viele schon aufgegeben, wenn ihre Anführer nicht hinter ihnen her getaumelt wären und sie mit schrecklichen Drohungen zum Weitertaumeln aufgefordert hätten. »Wollt ihr so nahe vor dem Ziel aufgeben?« hören wir einen von ihnen schreien. »Wir schaffen es! Seht doch, das Tor ist offen! Wir werden die Festung im Handstreich nehmen! Wir müssen uns nur leise genug hineinschleichen…«
»Aber …«, versucht einer der Eroberer zu widersprechen.
»Leise!« brüllt der andere. »Also schwätz nicht blöd herum!«
Sein Helm, den er vor Anstrengung schwitzend abgenomen hat, entfällt seiner recht kraftlosen Hand, worauf er polternd und scheppernd den Steilpfad hinunterrollt und dabei keinen Stein ausläßt.
Ich sehe den Fürsten grinsen.
Unten hat sich Ragnar, der Wirt, hinter der langen Theke aufgebaut und gibt seinen trotz der morgendlichen Kühle erbaulich leicht geschürzten Schankmägden letzte Anweisungen. Mir selbst macht die Kühle wenig aus – erstens wird es gleich wieder warm, zweitens wärmt mich Mythors streichelnde Hand. (Wenngleich mir noch etwas wärmer würde, wenn er mich dort streichelte, wo ich's noch lieber mag, er sich in der Öffentlichkeit aber wieder mal nicht traut, obgleich ich mich geradezu anbietend über die Mauerbrüstung lehne und ihm meinen Po verheißungsvoll entgegenrecke. Die Mauerbrüstung ist etwas feucht vom Morgentau; ich bin's vom Gedanken daran, was Mythor jetzt mit mir tun könnte, wenn er sich hinter mich stellte, nicht so viele und dicke Kleidung trüge und sein … – Ach, verflixt, dieser dumme Kerl ahnt ja gar nicht, was ihm und mir und dem uns dann dabei zuschauen würdenden Fürsten entgeht, der schon jetzt meinen Anblick wohlgefällig genießt!)
»Ihr Zorngewüte mag aufwachentlicherseits gar gewaltigbar gewesen sein«, verkündet Fürst Wilhelm von Helleb, auf die Eroberer deutend. »Rachsucht im Herzen, Durchfallgegrimm im Gebauch, und niemand im Gedorf, an welchsülbigem man sich rächen kann – furtwannen das Gevolk sich nunens in den Mauern der Festung birget, bis Wir höchsthierosülbigst die Eroberer wieder hinfort zu schicken geruhen.«
»Kann man das auch in verständlicheren Worten sagen?« mault Mythor.
»Unser Gesprach gefallet Euch nicht, Ritter Mythor?«
»Mitnichten. Ich versteh's kaum.«
»So müsset Ihr's baldigsam lernen«, erwidert der Fürst. »Wendet Euch behufs dessen traulich ans Gefürst Erlik oder an Baron Gregor. Man wird Euch weisen, welcherlei Sprachgeschnörk vonnöten ist, die Reden erbaulich zu färben.«
»O weh …«, seufzt Mythor.
Ich gebe ihm einen tröstenden Kuß.
Unten sind die erschöpften Kämpen eingetroffen und müssen sich gegenseitig stützen. Schwankend und taumelnd stehen sie da und starren fassungslos die Theke und die Mädchen an. Man sieht es ihnen an, daß sie Ragnar am liebsten erschlagen möchten; den mit Abführmitteln reichlich präparierten Wein werden sie nicht so schnell vergessen können.
Fürst Erlik, blond, wohlbeleibt, eine ständig erlöschende Pfeife abwechselnd im linken Mundwinkel beziehungsweise in der linken Hand, einen schwarzweiß gefleckten Hund an der Seite und einen schwarzen Raben auf der Schulter, tritt durch das Tor. In der rechten Hand trägt er eine Harfe.
»Oh, seid willkommen, edle Eroberer«, jubiliert er. »Wir werden Euch ein Begrüßungsliedlein singen und …«
»Nein!« brüllen Ragnar unten und der Fürst oben einstimmig. »Ihr werdet nicht singen!«
»Was versteht ihr Banausen schon von meiner hehren Sangeskunst?« murrt Fürst Erlik.
»Zuviel, mein lieber Erlik, zu viel«, bemerkt Fürst Wilhelm von oben.
»Nun, so wollen wir die geschätzten Eroberer, geschwächt, wie sie sind, mit einem guten stärkenden Tropfen begrüßen«, schlägt Erlik vor. »Lasset Euer Gewaff einstweilen sinken, zornigedle Herrschaften. Ragnar, Unser sklavisch ergebener Wirt, wird Euch den Helleböhntropfen kredenzen, nicht wahr, Ragnar?«
»Der erste Trunk ist kostenlos, ein Geschenk unseres Hauses«, schreit Ragnar fröhlich, um gleich darauf dem Fürsten leise zuzuzischen: »Sklavisch ergeben? Ihr habt sie wohl nicht alle, wie? Ich bin kein Sklave!« Worauf Erlik nur vornehm von einem Ohr zum anderen grinst, Fürst Wilhelm sich räuspert und Ragnar, den Erobern zugewandt, wieder lautstark fortfährt: »Danach indessen, Ihr werdet es verstehen, werden wir für einen Becher Wein einen Dukaten fordern müssen. Denn Ihr werdet ja nicht zulassen wollen, daß unser Geschäft ein Verlustgeschäft wird. Ein Volk, das seinen Wirt hungern läßt, verdient nicht zu leben.«
»Wenn Unser Steuereintreiber zu ihm kümmet, beliebt er ein ganz anderes Gesprach zu pflegen«, murmelt Fürst Wilhelm neben uns sarkastisch. »Uns ward ein Spruch überliefert, den sich der gute Ragnar glaubwürdigen Aussagen zufolge zur Maxime machte: Ein Geschäft ist nur dann ein Geschäft, wenn man des Fürsten Steuerschätzer nachgewiesen hat, daß es keines war.«
Unten lachen jene unter den Erobern, die noch lachen können, ob der Worte des Wirtes. »Einen Dukaten? Närrisch bist du, Wirt! Glaubst du, daß wir deine Vorräte nicht plündern werden?«
»Ja«, versichert Ragnar trocken.
Die leichtgeschürzten Mägde reichen bereits kleine Zinnbecher herum, in denen sich der erwähnte kostenlose Begrüßungstrunk befindet. Der Oberanführer der Eroberer, der sich, da keine Kampfhandlungen stattfinden, von ganz hinten nach ganz vorn durch die Reihen seiner Krieger geschoben hat, beäugt seinen Becher mißtrauisch. »Ich fürchte die Helleber, wenn sie Geschenke bringen«, sagt er. »Ist da auch wieder ein Abführmittel drin, für das wir dir die Haut in sehr schmalen Streifen abziehen lassen werden, um dich dann damit zu fesseln und in Salz zu pökeln – sobald wir wieder einigermaßen bei Kräften sind?«
»Oh nein«, versichert Ragnar. »Wir werden doch nicht so einfallslos sein, den selben Trick zweimal hintereinander zu versuchen. Zum Wohle, geschätzter Raubritter.« Er hebt seinen eigenen Becher an die Lippen, und der feindliche Anführer folgt dem Beispiel und trinkt.
Alle seine Krieger, die inzwischen sämtlich versorgt sind, tun's ihm nach.
Wir drei oben über dem Tor beobachten gespannt.
Der Anführer schluckt, strahlt ob des guten Geschmackes und lobt den Wirt.
Mitten in der Lobrede bricht er ab, wird erst totenbleich, dann giftgrün im Gesicht, und es ist, als wolle er Feuer speien wie weiland jener Beuteldrache Gerrek, von dem Mythor manchmal erzählt.
Alle seine Krieger tun's ihm nach.
»Ah! Hund«, brüllt der Anführer. »Du gelbgestreifter, schweineschwänziger Sohn einer flaschengrünen, linksseitig amputierten Pestratte! Was ist das für ein Teufelszeug?«
»Um nichts anderes als den vielgerühmten und hochberüchtigten Helleböhntropfen handelt sich's«, ruft Erlik im Hintergrund und zupft an der Harfe, um ein Lied anzustimmen.
»Ihr werdet nicht singen, beim Schnabel Eures Raben, verdammt!« brüllt Wilhelm von hier oben.
»Elender Barbar!« brüllt Erlik von dort unten zurück.
Inzwischen hat ein Ansturm auf die Theke eingesetzt. Die leichtgeschürzten Schankmägde haben alle Hände voll zu tun, die Weinbecher zu füllen. »Einen Dukaten pro Becher, wie abgemacht«, heißt es, und »verfluchte Wucherer, zur Hölle sollt ihr fahren«, schallt's zurück. Doch die Mägde geben die Becher erst dann aus der Hand, wenn sie die Münzen bekommen, und die Eroberer sind von Durchfall und Steilpfad noch viel zu geschwächt und erschöpft, sich den Wein gewaltsam zu holen. So bleibt ihnen nur übrig, zu bezahlen, wenn sie den unbändigen Durst löschen wollen, den der schärfstens gewürzte Begrüßungstrunk in ihnen entfacht hat.
»Das wird ein Geschäft«, freut sich händereibend der Wirt Ragnar. »Wir sollten öfters mal Eroberer einladen.«
Nach einer Weile wird der Preis leicht erhöht, die Kasse klingelt lauter.
»Wer den Helleböhntropfen nicht in ganz winzigen Schlückchen nimmt, und wer außerdem keine fetthaltige Nahrung als Unterlage im Bauche hat«, erklärt Fürst Erlik, der inzwischen zu uns herauf gekommen ist und meinen eigentlich Mythor entgegengerichteten Po wohlgefällig betrachtet, »der wird seinen Durst nicht so bald wieder stillen können. Das Feuer in seinem Rachen wird schier unstillbar. Und wie sollen sie nach jener Durchfall-Orgie der letzten Nacht Essen im Magen haben? Also müssen sie Wein trinken, ob sie nun wollen oder nicht, weil wir ihnen nichts anderes anbieten als Wein. Seht, wie sie schon torkeln. Da sie noch nichts gefrühstückt haben, macht sich der Wein natürlich noch schneller und stärker bemerkbar. Ich werde ihnen ein Schlaflied singen …«
Fürst Wilhelm entringt ihm wortlos die Harfe und wirft sie in den Burghof hinunter. Der Rabe auf Fürst Erliks Schulter kräht empört wie ein aufgeregtes Huhn.
Nach nicht einmal einer Sonnenspanne können die Eroberer nur noch lallen. Einige liegen schon auf dem harten Boden. Anderes singen obszöne Lieder, weitere versuchen ihre schon eingeschlummerten Kameraden ihrer Geldkatzen zu berauben, um weiteren Wein erstehen zu können.
»Lasset es nun gut sein«, sagt Fürst Wilhelm schließlich. »Baut die Theke ab und schaffet den Wein wieder hinab in die Kellergewölbe.«
Er kann also doch »normal« sprechen!
Als die Theke abgebaut ist und Ragnars Schankmägde sich zurückgezogen haben, grinst Fürst Erlik. »Kommen wir nun zu meinem Ideenbeitrag zu dieser Abwehrstrategie des unblutigen Krieges. Schafft die Kübel herbei!«
Plötzlich wimmelt es auf der Mauer von Verteidigern der Festung. Sie öffnen jene ominösen Behältnisse, die bei Nacht aus dem Dorf heraufgeschafft worden sind. Es beginnt penetrant zu stinken.
Ich kann nicht anders – ich lache, obgleich Mythor diesen Teil des »Kampfes« als höchst unfein ablehnt.
Was die einst wilden Eroberer nach dem Genuß des abführmittelhaltigen Weines von sich geben mußten, ist aus den Latrinen geschöpft und zur Burg gebracht worden und wird nun von den Zinnen der Mauer aus in weitem Bogen über die volltrunkenen Eroberer ausgeschüttet. Davon halbwegs ernüchtert, sehen wir sie fluchend und speiend bergab torkeln, für Tage zu keiner weiteren Aktion mehr fähig.
»Das«, grinst Erlik, »nennt man im wahrsten Sinne des Wortes: Die Waffen zum Feind tragen.«
Baron Gregor fügt heiter hinzu: »Und es beweist einmal mehr, daß Eroberungsfeldzüge eine verdammt beschissene Sache sein können.«
»Nunmehrens«, verkündet Wilhelm, »geruhen Wir ein Festgelage anzuberaumen, mit welchsülbigem Wir Unserem abermaligen glorreichen Gesieg festliches Geglanz zu verleihen gedenken. Jene recht anrüchigen Herrschaften werden leider so bald nicht wiederkehren, also wird man sich anstrengen müssen, halbwegs alleiniglich und unterstützt von unseren Gästen die Weinvorräte niederzukämpfen.« Er legt mir den Arm um die Taille und Mythor die Hand auf die Schulter.
Mythor grinst.
»Hoffentlich ist es Wein, den Ihr selbst trinkt.«
Er würde nicht mehr grinsen, wenn er mitbekäme, wie des Fürsten Hand von meiner Taille zu tieferen, spannenderen Körperregionen abgleitet und in mir die erfreuliche Lust auf mehr weckt.
Die beiden Fürsten lachen derweil schallend ob Mythors Bemerkung. Der Rabe krächzt, der schwarzweißgefleckte Hund bellt den Wolf an, und der Wolf Fass ignoriert ihn völlig.
Es wird ein wildes Fest.
Genauer gesagt, eine Orgie.
Ich liebe Orgien und alles, was damit zu tun hat. Vor allem Männer.
Später, als die wenigsten von ihnen noch stehen können (wie auch immer man das verstehen will), entsinne ich mich endlich wieder unserer Aufgabe, deretwegen wir überhaupt nur hier sind: Wir sollen das Relikt der Götter finden, entwenden uns ins CARAC heimbringen.
Dabei habe ich immer noch keine genaue Vorstellung davon, wie es aussieht.
Ich erhebe mich und steige über die am Boden liegenden Gesellen und Gesellinnen hinweg, teilweise noch eng umschlungen und nach dem Genuß von Wein und Liebe eingeschlafen. Eine eigenartige Duftmischung erfüllt den Festsaal.
Plötzlich ist Mythor an meiner Seite. Er ist fast nüchtern. Nicht einmal richtig feiern kann er. Ich selbst habe dem Wein nur in Maßen zugesprochen. Schließlich wollte ich das Fest richtig genießen und mich nicht sinnlos betrinken. Aber zumindest bei Mythor hatte ich angenommen, daß er kräftig mithalten würde. Wie Männer es nun mal tun, wenn sie Wein oder Bier oder Schnaps vor sich sehen.
Ich grinse ihn jungenhaft an. Er sagt nichts dazu, daß ein paar der Adligen und ich uns gegenseitig vernascht haben. Er hat es vielleicht nicht einmal bemerkt, weil er sich mit dem Weinbaron über einen gewissen Laurin unterhielt. Fürst Wilhelm erzählte Geschichten über eine weinselige Diebesbande, die ›Brüder unter den Sternen‹, Fürst Erlik berichtete von einem Krieger namens ›Gunnar mit den zwei Schwertern‹, und irgendwie ist der Tag mit Gesprächen, Musik, Tanz, Wein und Liebe, sehr viel Liebe, verstrichen. Draußen glitzern schon wieder die Sterne am Himmelszelt.
»Wir sollten uns auf die Suche nach dem Relikt machen«, sagt Mythor.
Ich nicke nur. Warum soll ich ihm sagen, daß ich armes schwaches hübsches dummes Weib denselben Gedanken hatte, womöglich vor ihm? Er ist der Held.
Immerhin, wie er sich durch die Korridore bewegt, tut er es mit der Lautlosigkeit und Gewandtheit einer Katze. Er öffnet verschlossene Türen, und schließlich befinden wir uns in einer Kammer, in der …
… uns Baron Gregor lächelnd und von seinem Wolf Fass begleitet erwartet.
Unwillkürlich greift Mythor zu seinem Schwert.
»Laßt es stecken«, bittet Gregor. »Es wäre Unsinn, zu kämpfen, wo es doch nichts zu kämpfen gibt.«
Da wäre ich mir gar nicht so sicher. Immerhin sind wir gekommen, um unsere freundlichen Gastgeber zu bestehlen. Unwillkürlich taste ich nach meinem Dolch Herzöffnerin – und stelle fest, daß ich nackt bin. Im wahrsten Sinne des Wortes. Ich habe nach dem heißen Liebesspiel doch tatsächlich vergessen, meine Waffen wieder anzuziehen.
»Ich weiß, weshalb Ihr hier seid«, eröffnet uns der Baron. »Ihr wollt das Relikt der Götter, wie Ihr es nennt, mit Euch nehmen. Nur zu. Ich kenne Euch und das CARAC.«
»Woher?« stößt Mythor überrascht hervor. Ich bin nicht weniger verblüfft.
»Seit langen Zeiten kreist das CARAC zwischen den Welten. Einst war es das Vehikel der Götter selbst. Jetzt lenkt der Sammler es und sendet seine Boten und Diebe aus. Recht hat er damit, so zu tun.«
»Aber woher wißt Ihr davon, Baron?« drängt Mythor.
»Wir Helleber vermögen es, diagonal durch die Zeit zu reisen«, sagt Gregor. »Ist es da ein Wunder, wenn uns Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und auch die meisten der anderen Welten bekannt sind? So erfuhren wir davon. War es in der Welt, aus der Ihr kommt, Tanice von Arabien, nicht der heilige Gral, der gesucht und ins CARAC geschafft wurde?«
Beide nicken wir verblüfft.
»Diese Ähnlichkeiten«, sagt Gregor lächelnd. »Fürst Wilhelm beschloß, Euch entgegenzukommen und Euch den gesuchten Gegenstand zu schenken. So braucht Ihr uns nicht zu bestehlen und könnt als Freunde bei Tagesanbruch zum CARAC zurückreiten. Ihr findet diesen Gegenstand, dieses Relikt der Götter, übrigens auch in unserem Wappen.«
Er tritt zur Seite und gibt den Blick frei auf das, was er mit seinem Körper bisher verdeckte. Es ist so, wie der Sammler es uns prophezeite: Jetzt, da wir es vor uns sehen, erkennen wir es als das Gesuchte.
Langsam geht Mythor darauf zu und umschließt es mit beiden Händen. Der Wolf beobachtet ihn aufmerksam. Gregor lächelt süffisant.
Das Relikt der Götter, das Ziel unserer Queste, ist – ein kopfgroßer, aus einem einzigen Diamantkristall geschliffener BIERKRUG.
— E N D E —
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